Translate

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Andreas Pecht zu "BITTE NICHT LÄCHELN!"

Wer bis 28. Januar unter der Woche nach Mainz kommt, sollte einen Abstecher zum dortigen SWR-Funkhaus machen. Im Foyer des "Hauses am Tor" sind etwa 150 Fotografien des Pressefotografen Herbert Piel aus den Jahren 1975 bis 1990 ausgestellt. Darunter viele interessante, berührende, aufwühlende oder schmunzeln machende Aufnahmen.
∇ Eine Ausstellungsbesprechung hier:

2010-12-03 Fotografie:

Mainzer Ausstellung mit Arbeiten 1975 - 1990 des rheinland-pfälzischen Fotografen Herbert Piel

„Bitte nicht lächen!“

ape. Mainz. Pressefotos. Zehntausende werden täglich aufs Neue von Zeitungen, Journalen, Websites millionenfach verbreitet. Einige avancieren nachher zu Ikonen der Zeitdokumentation. Ein paar wenigen davon wird das Glück zuteil, vom Betrachter sogar als Kunst angesehen zu werden. Im „Haus am Tor“ des SWR-Funkhauses Mainz versammelt die Ausstellung „Bitte nicht lächeln!“ (bis 28.01.2011) knapp 150 Fotografien von Herbert Piel. Die Auswahl umfasst Aufnahmen, die der rheinland-pfälzische Pressefotograf in den Jahren 1975 bis 1990 machte .


Fotos, entstanden bei Staatsempfängen in Mainz, Bonn, Berlin; bei Reportagetouren durchs Heimatgebiet oder nach Afrika, auf den Balkan, in den Nahen Osten und in die Sowjetunion; bei sehr persönlichen Begegnungen mit interessanten Menschen oder bei turbulenten Nachrichteneinsätzen.

Da ist dieses Bild von den Auseinandersetzungen um das Kernkraftwerk in Brokdorf anno 1981. Im früheren Stammblatt Piels, der „Rhein-Zeitung“, seitenbreit abgedruckt, war es ein atemberaubender Blickfänger: Optische Weite, aber darin eine atmosphärische Dichte, die den Schrecken jenes Tages in der Wilstermarsch fühlbar macht. Ein Foto, in seiner Kraft historischen Schlachtengemälden ähnlich – die Zivilisation im Ausnahmezustand, der Staat als Angst einflösende archaische Gewaltmaschine. Ein Bild, das Zeitgeschehen dokumentiert, durch Motivwahl, Perspektive, Licht aber zugleich zum engagierten Statement wird.

Diese Ambivalenz findet sich in vielen von Piels Aufnahmen. Oft enthalten sie im bildlichen Subtext Kommentare. Wie jenes ebenfalls 1981 entstandene Foto von einem halbnackten Demonstranten, der am Bauplatz für die Frankfurter Startbahn West mit erhobenen Händen dem brachialen Zugriff schwer gerüsteter Polizei zu entkommen sucht. Momente, inszeniert von den Ereignissen selbst, vom Fotografen festgehalten – weil er zur rechten Zeit am rechten Ort war und das Besondere, das Vielsagende des Augenblicks gesehen, erspürt hat.

Oft werden die Arbeiten Piels auch in eigener Bildinszenierung zu stillen, aber großen Anklagen: das verstrahlte Kind aus Tschernobyl mit einer Kerze, betend um Hoffnung; die kurdische Greisin im Flüchtlingslager, bittend um Hilfe mehr für die Enkel als für sich; der Unterarm einer alten Frau, aus dessen schrundiger Haut die eintätowierte KZ-Häftlingsnummer auch Jahrzehnte nach Kriegsende so wenig verschwinden kann wie die Erinnerung an das Grauen aus Kopf und Gemüt...

Herbert Piel – 1957 geboren, in Neuss, Kleve und Bad Ems aufgewachsen, heute als freier Fotograf mit eigener Firma bei Boppard lebend – kam als Autodidakt zur Fotografie. 1975 erschien sein erstes Foto in der Rhein-Zeitung. Nachher arbeitete er für die Agenturen Reuters, AP und dpa, wurden seine Bilder auch in Stern, Bunte oder Spiegel abgedruckt. Der bis heute fototechnisch ganz auf Leica-Apparate eingeschworene Mann entspricht so gar nicht dem landläufigen Bild von Pressefotografen. Wüste Drängeleien vor Promi-Podien sind seine Sache so wenig wie lauthalse Posing-Animation.

Ich habe Piel in den zurückliegenden 25 Jahren einige Male bei der Arbeit erleben dürfen. Manchmal macht er sich beinahe unsichtbar, als solle der Fotografierte nicht merken, dass er fotografiert wird. Dann wieder nimmt er mit leiser Stimme und beiläufigem Geplauder Spannung aus Situationen, lenkt sein „Opfer“ dahin, wo und wie er es ablichten will. Derart sind viele originelle oder auch selten intime Aufnahmen von Staatsmännern/-frauen und Künstlern entstanden. Joseph Beuys zu Besuch in der Eifel; Elisabeth II. oder Königin Beatrix auf Visite in Deutschland; Breschnew, Gorbatschow, Li Peng, Reagan, Bush, Clinton, Scheel, Herzog, Rau, Köhler...

„Bitte nicht lächeln“ ist zeitgeschichtliche Foto-Dokumentation und zugleich Werkschau eines auf ganz eigene Weise interessiert, kritisch und bisweilen auch verhalten schmunzelnd in kleine Welten wie die große Welt blickenden Fotografen aus Rheinland-Pfalz. Da war es passend, dass Edgar Reitz den Herbert Piel im Hunsrück-Epos „Heimat III“ die Rolle des Fotografen Schwarz spielen ließ. Andreas Pecht

Ausstellung im SWR-Funkhaus Mainz,
bis 28.01.2011, Mo - Fr 9 - 17 Uhr (nicht an Feiertagen).

Der Artikeldienst »www.pecht.info« wird herausgegeben und redaktionell verantwortet von

Andreas Pecht