Posted By Christian Jöricke On 30. Juni 2011 @ 00:52 In Kultur & Medien
16vor: Ist es richtig, dass Sie zur Fotografie kamen, weil Sie sich über die schlechten Familienfotos Ihres Vaters ärgerten?
Herbert Piel: Das ist korrekt. Mit dieser Geschichte eröffne ich meistens meine Vorträge. Es gibt ein Bild von einem Treppenhaus, auf dem man ein Paar Beine sieht. Das ist damals schon sehr innovative Fotografie gewesen. Ich weiß, dass ich eine Mandoline in der Hand und einen Tirolerhut auf dem Kopf hatte. Aber der Betrachter weiß das nicht. Dieser sieht nur ein sehr stylishes Foto. Ich zeige noch zwei, drei andere, wo er es nicht geschafft hat, uns nicht abzuschneiden. Dabei fangen die Leute an zu lachen. Dann sage ich: “Lachen Sie nicht! Stellen Sie sich dieses Tableau von Bildern in dreieinhalb mal dreieinhalb Metern Größe auf einer Fotokunstausstellung in Köln oder sonstwo vor. Da wette ich mit Ihnen, dass mindestens 50 Leute davor stehen bleiben und sich über den Goldenen Schnitt, Dramaturgie, Bauhausstil oder was weiß ich unterhalten.”
16vor: Aber Ihr Vater hat das nicht künstlerisch gemeint, oder?
Piel: Nee, nee. Weil meine Mama und ich uns immer über diese Bilder geärgert haben, habe ich ihm irgendwann die Kamera geklaut. Da war ich elf Jahre und habe selbst mit dem Fotografieren angefangen. Dann habe ich sie irgendwann zur Seite gelegt und wollte Architekt werden. Ich habe eine Bauzeichnerlehre angefangen und nach zwei Jahren wieder abgebrochen, weil ich keine Lust hatte, für Sekretärinnen Kaffee zu kochen. Mit 16, 17 ging es so richtig mit der Fotografie los. Mit 17 habe ich meinen ersten Kanzler fotografiert.
16vor: Sie sollen zu Beginn Ihrer Karriere die Auffordung “Bitte nicht lächeln” auf Ihre Kamera geklebt haben…
Piel: Das kam später. Ich hatte mich dauernd geärgert, mit einem Firmennamen auf der Kamera herumzurennen und kein Sponsoren-Geld dafür zu bekommen. Es gibt Leute, die machen Typenschilder von ihren Autos ab. Mit einer Handprägemaschine habe ich dann “Bitte nicht lächeln” auf die Kamera geklebt.
Der Titel der Ausstellung hat zwei Aspekte. Der eine ist, dass es viele Bilder gibt, die nicht zum Lächeln sind. Der andere ist dieser Aufkleber. Wer den gesehen hat, musste schon ein bisschen freundlicher schauen. Ich wollte, dass die Leute ein bisschen entspannt werden.
16vor: Es war also Ihre Version von “Spaghetti” oder “Riesling”?
Piel: So ähnlich. Die Leute, die ich zu dieser Zeit porträtiert habe, hatten ihr eingeprägtes Gesicht. Bei dem Aufkleber gab es dann den Moment, wo sie geschmunzelt haben. Das wurden schönere Porträts.
16vor: Die Themen der Bilder und die Aufnahmeorte sind sehr verschieden. Von Politikerporträts über den Mauerfall bis zu Polizeieinsätzen bei Großdemos Anfang der 80er Jahre und kurdischen Flüchtlingen…
Piel: Die Grundthemen sind “Die ersten Tage der Ex-DDR”, “Kurdische Flüchtlinge”, “Bundes- und Landespolitik” und eine Abteilung “Harte Fakten” wie Ramstein und Brockdorf.
16vor: Warum ist die Auswahl so unterschiedlich?
Piel: Das folgende Bewandnis: Es ist die Zeit von 1975 bis 1990. Eigentlich sollte die Ausstellung “Die schwarz-weißen Jahre” heißen. Ich habe mich lange geziert mit einer solchen Ausstellung. Das ist schließlich meine ganz normale Arbeit. Heute weiß ich, wer so etwas sehen will. Das sind keine Bilder von 1800 oder von 1950, sondern die erlebbaren letzten 35 Jahre. Damit können viele Leute etwas anfangen.
In einem heftigen deutschen Kameraforum habe ich so zehn Bilder reingestellt. Diese Foren leben von Halbprofis und Edelamateuren. Da kann man das beste Bild der Welt haben, dann schreiben die einem: “Der Rahmen ist scheiße.” Deshalb habe ich von vornherein gesagt: “Ich möchte nicht wissen, ob Staubflecken drauf sind, sondern ob die Bilder nach so einer langen Zeit noch berühren.” Sie standen so ein Jahr drin und ich hatte 21.000 Klicks und über 200 positive Nachrichten. Da habe ich gesagt: “Jetzt machen wir eine Ausstellung.”
16vor: Sind diese 15 Jahre auch für Sie eine bestimmte Epoche? Sind Sie danach auf Farbe umgestiegen?
Piel: Es kam so langsam der Wechsel zu Farbe. In meinem damaligen Zeitungshaus habe ich die komplette Farbumstellung für Fotografie gemacht. Doch schwarz-weiß bringt es eben auf den Punkt. Farbe kann ablenken, wenn man nicht in der Lage ist, in bunt Dinge zu sehen. Wenn man etwas in schwarz-weiß fotografiert, heißt das nicht unbedingt, dass das in Farbe auch gut aussieht.
1975 bis ’90 war für mich mein früheres Leben. Ich habe bei der Auswahl der 120 Bilder, die mir recht schwer fiel, selbst viele Sachen wiederentdeckt. Auf einmal sprudelten wieder die Geschichten dazu heraus. Zu jedem Bild könnte ich Ihnen eine relativ lange Geschichte erzählen. Oder man verbindet Gerüche und Geräusche mit den Motiven.
16vor: Gibt es ein Bild in der Ausstellung, auf das sie besonders stolz sind? Zum Beispiel, weil es ungewöhnlich zustande gekommen ist?
Piel: Es sind meistens die Sachen, denen man es nicht ansieht. Ich hatte immer viel Glück in meinem Leben. Das gepaart mit einem ganz guten Bauchgefühl ergibt solche Bilder. Ich klicke gerade durch meine eigenen Bilder und versuche, Ihre Frage richtig zu beantworten. Auf ein Bild wie das aus Brockdorf mit dem Hubschrauber über den Demonstranten kann ich stolz sein. Da war ich gerade am richtigen Ort und habe das richtige Bild gemacht mit dem richtigen Objektiv. Oder das Porträt der Attentäterin von Lafontaine – das war richtig Arbeit. Da musste man sich schon Gedanken machen: Wann kommt die Frau wo reingefahren und wo wird sie im Wagen sitzen? Es gibt ein paar Bilder, die mir aus verschiedensten Gründen sehr am Herzen liegen. Das sind “Der Mann im Eis”, Joseph Beuys und Brockdorf.
16vor: Wo Sie gerade die Geschichte mit dem “Mann im Eis” erwähnen…
Piel: Wollen Sie sie hören?
16vor: Nur zu.
Piel: 1979 gab es einen heftigen Winter und man hatte alles durchfotografiert, was mit einem bösen Winter zu tun hat. Irgendwie musste dann mal ein lockereres Feature her. Da tauchte die Idee auf, mit einem Mann, der in einem Loch im Eis steht. Das Problem war, ein Schwimmbad zu finden, das im Winter das Wasser im Becken ließ. Das habe ich dann in Lahnstein gefunden. Dazu gehörte der Bademeister Gerd Kempkes, der leider schon verstorben ist. Herr Kempkes war für alles zu haben. Wir haben ein Loch gemacht, in das er reingerobbt ist. Und jetzt erzähle ich Ihnen mal alles, was man nicht sieht auf dem Bild: Man sieht nicht, dass er zwei Neopren-Taucherhosen anhat, eine sehr enge und eine sehr weite. Dazwischen war fast kochendes Wasser. Man ahnt vielleicht am Bauch, dass er mit Vaseline eingeschmiert ist, um die Haut zu schützen. Was man definitiv nicht sieht, ist, was in Gerd Kempkes drin ist: eine halbe Flasche Asbach. Das Bild ist ziemlich gut gelaufen. Und der Oberlahnsteiner Karnevalsverein hat eine Karnevalswagen nach diesem Motiv gebaut.
16vor: Und warum war Ihnen laut Pressemitteilung Hannelore Kohl ewig dankbar?
Piel: Ich habe beim damaligen Kanzlerehepaar u.a. sogenannte Homestorys fotografiert. Es gab immer einen Moment, wo sie sagte: “Gell, Herr Piel, Sie denken aber daran.” Woran ich denken sollte, war, Hannelore Kohl nicht rauchend zu fotografieren. Das habe ich auch nicht gemacht. Sie war Kettenraucherin. Das wäre bei ihrem sozialen Engagement abträglich gewesen, wenn solche Bilder entstanden wären.
16vor: Sie haben 1995 den ersten Preis bei dem Fotowettbewerb “Rückblende” gewonnen. Es heißt, Sie haben sich dabei über etwas geärgert.
Piel: Darüber ärgere ich mich bis heute. Ich bekam dieses nett geschliffene Glasstück, wo “Rückblende” draufsteht, und das war’s. Wer heute die “Rückblende” gewinnt, bekommt 7000 Euro und eine Leica M9 im Wert von 6000 Euro. Ich habe 1995 die Glaslinse gekriegt und ab 1996 gab es dann den fetten Preis.
16vor: Auf dem Flyer zur Ausstellung ist ein Bild von einem durch das Reaktorunglück in Tschernobyl verstrahlten Jungen zu sehen mit Titel “Bitte nicht lächeln”. Das ist eine ziemlich unglückliche Komposition.
Piel: Aber Sie machen sich Gedanken darüber. Das finde ich gut. Ich habe lange hin- und herüberlegt, was ich für das Cover nehme. Alles andere wäre mir nicht plakativ genug oder zu seicht gewesen. Und es sollte berühren, so wie es viele Fotos dieser Ausstellung tun. Durch die Ereignisse in Japan hat es auch noch einen aktuellen Anstrich bekommen.
Die Ausstellung “Bitte nicht lächeln” kann bis zum 31. Juli in den Viehmarktthermen dienstags bis sonntags von 9 bis 17 Uhr besichtigt werden.